Unser Ober-Ingelheimer Pfadfinderstamm wurde bereits kurz nach seiner Gründung nach Ottheinrich von der Pfalz benannt. Auf den wenigen von ihm erhaltenen Bildern ist ein sehr kräftiger, würdevoller Mann mit Bart zu sehen, er trägt die Kleider eines reichen Mannes und blickt ernst und nachdenklich. Warum wurde er zum Namensgeber unseres Stammes?
Ottheinrich von der Pfalz wurde am 10. April 1502 in Amberg (Oberpfalz) geboren und starb mit 57 Jahren am 12. Februar 1559 in Heidelberg. Er war also kein „Ingelummer Bub“, sondern er war ein Adeliger aus der Familie der Wittelsbacher – die Wittelsbacher sind eines der ältesten deutschen Adelshäuser, aus dem jahrhundertelang Pfalzgrafen, Herzöge und Kurfürsten hervorgingen, auch ein Bayrischer König , und eben auch die Pfalzgrafen hier bei uns am Rhein.
Man kann nachlesen, dass Ottheinrich als junger Mann zwar nicht zu Fuß wie wir Pfadfinder, sondern bestimmt „luxuriös“ in der Kutsche oder zu Pferde, viel durch ganz Europa reiste und sogar bis in den Nahen Osten, nach Bethlehem, worüber er ein Reisetagebuch schrieb. Danach wurde er zum „Ritter des Heiligen Grabes“ geschlagen und kehrte 1521, also mit 19 Jahren, nach Deutschland zurück.
1522 wurden Ottheinrich und sein Bruder Philipp für „volljährig“ erklärt und sie bekamen sofort die Regierung des Fürstentums Pfalz-Neuburg übertragen. Stellt Euch vor, Ihr solltet mit 20 gleich so etwas wie Landrätin oder Landrat werden, also direkt ein größeres Gebiet regieren, dort die Bevölkerung versorgen, Straßen bauen, Städte planen, das Leben und die Gesetze regeln…, sicher nicht ganz einfach.
Ab jetzt wurde Ottheinrich „Ottheinrich von der Pfalz“ genannt.
Wer damals ein Kurfürst war, sollte durchaus auch „fürstlich“ leben, also „fürstlich speisen“, „fürstliche Feste“ feiern, Reisen an ausländische Adelshöfe unternehmen und auch Kriege führen und überhaupt recht verschwenderisch leben, um andere Fürsten und Adelige mit der Pracht des eigenen Schlosses und Lebenswandels zu beeindrucken. Das machte auch Ottheinrich nicht anders, er habe aufwendige Feste gefeiert, Turniere mit teuren Pferden veranstaltet, Prunkrüstungen gesammelt und seine beiden Schlösser mit sehr teuren Möbeln und Wandteppichen ausgestattet. Er heiratete 1529, aber seine Frau Susanna von Bayern, starb bereits 1539 und das Paar hatte niemals Kinder bekommen. Auch Ottheinrichs Bruder Philipp verschuldete das Kurfürstentum und überließ 1541 „seinen“ Landesteil mitsamt den Schulden seinem Bruder Ottheinrich , so dass 1544 das fürstliche Vermögen ausgegeben war – der Kurfürst war bankrott, er wurde abgesetzt, gebannt und geächtet und zog sich in ein Kloster zurück (Quelle: Kurzbiografie Kurfürst Ottheinrich, www.landeskunde-online.de).
Man könnte sagen, Ottheinrich ist als Kurfürst zunächst gescheitert, aber vielleicht war er bei der Amtsübernahme auch noch zu unerfahren und zu unreflektiert gewesen, um das Regieren wirklich erfolgreich zu machen. Ist er dennoch ein Vorbild? Der Gründer der Pfadfinderbewegung, Sir Baden-Powell aus England, hatte den Leitspruch „Learning by doing“…
Im Kloster hatte Ottheinrich auf jeden Fall Zeit, sein bisheriges Leben zu überdenken, er entdeckte neue Interessen, studierte die neuen Lehren des Martin Luther und er war fasziniert von Büchern, so dass er beschloss, einmal eine große Bibliothek zu besitzen. Er fing dann auch im Kloster bereits an, Bücher zu sammeln, denn wer weiß, wie sein Leben weitergehen würde?
Einige Jahre später starb sein Onkel, der Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz, der bis dahin Kurfürst von der Pfalz gewesen war, und da bekam Ottheinrich im Jahr 1556 endlich noch einmal eine „zweite Chance“ und wurde nochmals in Heidelberg zum Kurfürsten von der Pfalz ernannt. Er war jetzt bereits 54 Jahre alt, seine Fehler der Vergangenheit waren ihm verziehen und er befand sich jetzt auf dem Höhepunkt seiner Macht.
1557 führte er in der Pfalz die Reformation ein, d.h. er befahl seinen Untertanen, sich von der katholischen Kirche abzuwenden und der neuen Lehre Martin Luthers zu folgen, also „Protestanten“ zu werden, die glauben, dass der Mensch „allein aus Gnade“ und durch seinen Glauben, jedoch nicht aufgrund seiner Taten errettet wird. Die Protestanten waren damals besonders darüber erzürnt, dass die katholische Kirsche sogenannte „Ablassbriefe“ an die Menschen verkaufte, die damit dann durch diese vermeintlich „gute Tat“ einen Teil ihrer Sünden erlassen bekamen, aber natürlich finanzierte die katholische Kirche damit auch den Bau des Petersdoms in Rom.
Nun, es ist jedenfalls „unser“ Ottheinrich von der Pfalz gewesen, der unsere Region zu einer Gegend gemacht hat, in der dann mehr „evangelische“ als „katholische“ Bürger*innen lebten, das sieht man noch heute in Ingelheim und vielen Dörfern darum, denn hier sind die evangelischen Kirchen meistens größer als die katholischen Kirchen, aber bei Wikipedia kann man unter dem Stichwort „Ingelheim“ nachlesen, dass im Jahr 2008 die Zahl der evangelischen Einwohner*innen von Ingelheim (wieder) etwa gleich groß war wie die Zahl der katholischen Einwohner*innen.
Tatsächlich spielt die Religionszugehörigkeit in unserem Pfadfinderstamm keine Rolle, wir sind „überkonfessionell“, d.h. wir nehmen alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsene bei uns auf, die neugierig, tolerant, respektvoll, weltoffen und interessiert sind .
Ottheinrich jedenfalls konnte nun als „neuer“ Kurfürst endlich seinen im Kloster erdachten Traum verwirklichen und eine Bibliothek gründen, die „Bibliotheca Palatina“. Da er auch Wissenschaftler an seinen Hof brachte und Ärzte in seinem Kurfürstentum förderte, galt Ottheinrich bald als einer der bedeutendsten Kurfürsten seiner Zeit.
Er war ja nun aber bereits 54 Jahre alt gewesen, als er noch einmal Kurfürst wurde, er war zudem sehr dick und wog fast 200 kg, die Ärzte in seiner Zeit waren auch noch keineswegs so gut ausgebildet wie heute und konnten bei vielen Krankheiten eigentlich noch gar nicht recht helfen oder heilen, so dass Ottheinrich insgesamt nur noch drei Jahre als Kurfürst regierte – dann starb er mit 57 Jahren. Sein Grab kann man noch heute in der Heiliggeistkirche in Heidelberg besuchen.
Ottheinrich von der Pfalz wird heute zwar nicht als „großer Politiker“ gesehen, aber man lobt ihn für seine besondere „Lauterkeit“ seines Charakters, er sei beseelt gewesen von einem starken Erkenntnisdrang und dem Wunsch nach Selbstfindung und ständiger innerer Vervollkommnung (Quelle: Ottheinrich von der Pfalz, Bericht über eine Ausstellung in Heidelberg von Günther Dickel).
Und da unser Pfadfinderstamm im Jahr 1956 gegründet wurde, also genau 400 Jahre, nachdem Ottheinrich (neuerlich) zum Kurfürsten der Pfalz ernannt wurde und er damit diese Gegend nicht nur religiös neu ausrichtete, sondern eben auch Neugier, Wissensdurst sowie die Liebe zu Büchern vorlebte, erschien er den Stammesgründern geeignet, als Namenspatron für unseren Stamm zu fungieren.
Da wir als Jugendverband von Beginn an zur Ober-Ingelheimer Burgkirchengemeinde gehören, die eine evangelische Kirche ist, lassen wir den Namen desjenigen Mannes, der seinerzeit die Reformation in unserer Gegend einführte, zum Gedenken in unserem Stamm fortbestehen.
Seit einigen Jahren zeigt auch unser neues Stammeswappen das Bildnis Ottheinrichs von der Pfalz neben der Pfadfinderlilie und über den Zinnen der Ingelheimer Stadtmauer, über die neugierig u nd würdevoll zugleich der Ingelheimer Adler späht.